Stand: 17.08.2022 17:59 Uhr                 

Ein Gesetzentwurf des Gesundheitsministeriums hat für Kopfschütteln gesorgt: Da sich die Kassenärztlichen Vereinigungen weigern, Corona-Tests auf Betrug zu prüfen, will der Minister die Arbeit nun an das RKI abgeben. Von Markus Grill, NDR/WDR

Der Aufschrei war groß, als im Mai 2021 eine Untersuchung von NDR, WDR und „Süddeutscher Zeitung“ Betrugsfälle in Millionenhöhe bei mehreren Corona-Testzentren aufdeckte. Der damalige Gesundheitsminister Jens Spahn sagte, er wolle Betrug bekämpfen. Als Karl Lauterbach Ende 2021 das Gesundheitsministerium übernahm, gab es noch keine Idee, den angeblichen Massenbetrug in den Corona-Schnelltestzentren zu bekämpfen. Lauterbach hatte Ende Juni angekündigt, dass der Betrug endlich ein Ende haben müsse.

Doch der Gesundheitsminister stieß auf Zurückhaltung – von den Kassenärztlichen Vereinigungen (Kven). Die Organisationen, die in erster Linie dazu da sind, Krankenkassengelder an Ärzte in jedem Bundesland zu verteilen, hatten bisher die Aufgabe, die Preisgestaltung für die Schnelltests zu kontrollieren, und wollen das künftig nicht mehr tun.

„Aufgrund der bisherigen Erfahrungen können wir nicht darauf vertrauen, dass alle Prüfstellen die Leistungen korrekt erbringen“, schreiben die KVen-Vorstände in einem gemeinsamen Schreiben an Lauterbach. Man könne daher künftig nicht “verantwortlich dafür sein, Zahlungen mit einem Auge auf Konten zu leisten, deren Richtigkeit wir nicht einmal ansatzweise überprüfen können”.

Gesetzentwurf des Gesundheitsministeriums

Lauterbach sagte daraufhin in Gesprächen, das Robert-Koch-Institut (RKI) solle dann die Überprüfung vornehmen. Sechs Wochen lang warteten die Beteiligten vergeblich auf einen Entwurf, wie das konkret aussehen soll. Erst am Dienstagabend übersandte das Gesundheitsministerium den Beteiligten einen Gesetzesentwurf, der NDR, WDR und “Süddeutscher Zeitung” vorliegt.

Demnach soll das RKI künftig die Abrechnungsdaten analysieren, „statistische Ausreißer“ identifizieren, die Gründe für das kostenlose Testen sowie die Positivquote von Schnelltests prüfen. Stellt das RKI Unregelmäßigkeiten fest, muss es nach dem Plan des Ministeriums die örtlichen Gesundheitsämter und die zuständige Kassenärztliche Vereinigung informieren.

Das RKI ist an Richtlinien gebunden

Das RKI ist eine wissenschaftliche Behörde, deren Aufgabe es ist, Infektionskrankheiten zu erkennen und zu bekämpfen. Das Institut hatte noch nie mit Abrechnungsbetrug zu tun. Das RKI untersteht jedoch dem Gesundheitsamt. Er ist weisungsgebunden und kann Aufträge von Lauterbach nicht ablehnen.

Die RKI-Pressestelle gibt offiziell bekannt, dass sie über “Expertise in Statistik und Mathematik” verfüge und Anomalien erkennen könne. Darunter hört man aber, dass die Idee, Schnelltest-Betreiber federführend zu testen, eine „Luftnummer“ sei – er habe weder die Ressourcen noch das technische Wissen dafür.

Für das RKI gibt es keine Mittel mehr

Lauterbachs Entwurf besagt, dass dem RKI für die Überprüfung “unkalkulierbare Kosten” entstehen, Geld für die neue Arbeit soll das RKI aber nicht erhalten. Ministeriumssprecher Andreas Defner sagte auf Anfrage: „Ein finanzieller Ausgleich ist nicht vorgesehen.“ Das verwundert, weil die Krankenkassen seit Mai für jeden Corona-Test pauschal 2,5 Prozent der Abrechnungssumme erhalten, zuvor sogar 3,5 Prozent.

Da die Bürgertests den Staat bislang rund zwölf Milliarden Euro gekostet haben, sind allein für die Bezahlung und Kontrolle rund 400 Millionen Euro an die Krankenkassen geflossen. Auch wenn sie künftig keine Staatskundeprüfungen mehr beaufsichtigen, sollen sie die Pauschale von 2,5 % erhalten. „Eine Änderung der Verwaltungskosten der Kassenärztlichen Vereinigungen ist nicht geplant“, teilte das Lauterbacher Ministerium mit.

Bis zum 22. August haben die Beteiligten nun Zeit, sich zu dem Gesetzentwurf zu äußern.

“Ich sehe schon die Faxgeräte glühen”

Beim Landeskriminalamt Berlin leitet Jörg Engelhard eine Kommission, die sich fast ausschließlich mit Abrechnungsbetrug bei Corona-Tests befasst. Sie schätzt den durch betrügerische Bürgertests verursachten Schaden inzwischen bundesweit auf mehr als eine Milliarde Euro. Die geplante Neuregelung des Gesundheitsministeriums hält der Ermittler für wenig sinnvoll.

„Das RKI sollte dem örtlichen Gesundheitsamt Auskunft geben, wenn die Daten offensichtlich sind. Das Gesundheitsamt sollte dann aber eine körperliche Kontrolle durchführen und zum Beispiel die Adressen der Getesteten erfragen“, sagt Engelhard. “Ich sehe schon die Faxe leuchten.” Für ihn ist unverständlich, warum die Aufgabe der Rechnungsprüfung einem Institut wie dem RKI übertragen wird, das damit keine Erfahrung hat.

Zudem ist unklar, wer sich um die womöglich vielen Millionen Dummy-Tests aus der Vergangenheit kümmern wird. “Das ist eine Steuerverschwendung in Milliardenhöhe, die bisher nur unzureichend aufgearbeitet wurde.”

Engelhard hält es auch für eine falsche Botschaft, dass KVs von der Prüfungspflicht befreit sind, aber weiterhin die gleiche Vergütung erhalten sollen, die wir bisher erhalten haben. „Das kommt mir wie ein Geschenk an die KVs vor und macht an sich keinen Sinn, weil es unweigerlich die Frage aufwirft, wie wertvoll der Test war, wenn künftig ohne Test das gleiche Geld gezahlt wird.“ …