Kretschmer, stellvertretender Parteivorsitzender der CDU, wurde rundweg abgewiesen. Der Mann betreibe eher sächsische Innenpolitik als seriöse Außenpolitik, ärgerten sich Unionsmitglieder. Allerdings sind die deutsche Außen- und Innenpolitik in Kriegszeiten mittlerweile so eng miteinander verflochten, dass kein Ministerpräsident der Republik darüber hinwegsehen kann. Schon gar nicht in Dresden, das nur neun Autostunden von Lemberg entfernt ist. Doch was meinte Michael Kretschmer wirklich mit seiner Bitte? Und wen hat er angesprochen? So wie die Dinge liegen, kann nur der Aggressor den Konflikt einfrieren und unternimmt auch keine Anstalten dazu. Lesen Sie auch Um diese und weitere Fragen zu klären, trifft sich der 47-jährige Regierungschef am Dienstagabend mit seinem Stellvertreter, dem sächsischen Finanzminister Martin Dülig (SPD), zu einem Gespräch in der Dresdner Schauburg. Die beiden debattierten zwei Stunden lang, tauschten energisch und höflich Argumente aus. Titel der Veranstaltung der Friedrich-Ebert- und Konrad-Adenauer-Stiftung: „Deutschland und Sachsen am Wendepunkt, was jetzt zu tun ist“. Natürlich bleiben viele Fragen unbeantwortet. Zunächst verspürte Kretschmer Klärungsbedarf. Putin sei ein Kriegshetzer, der Angriff auf die Ukraine “ein riesiges Verbrechen”. Er begrüßt die Bereitstellung von 100 Milliarden Euro für Sondervermögen der Bundeswehr, plädiert für Deutschland, seinen Verpflichtungen im Nato-Bündnis nachzukommen, eine autarke Demokratie zu werden und eine „eigene Macht“ aufbauen zu können. Ein Angriff auf ein Nato-Mitglied oder ein EU-Land müsse “starke Folgen” haben, das westliche Bündnis sei unsere Lebensversicherung. Bislang steht Kretschmer auf der Berliner Linie. Dann wird klar, wo er nicht anrufen kann oder will. Lesen Sie auch Es gibt Gründe, warum die Ukraine nicht in der EU und der NATO ist. Russland ist ein so riesiges Land, dass man es von außen nicht beeinflussen kann. Dann der Satz: “Wenn wir jeden Konflikt auf der Welt zu unserem eigenen machen, wird das unser Untergang sein.” Vor allem die Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine hat Kretschmer immer wieder kritisiert. Wenn in Berlin die Meinung vorherrscht, dass die Ukraine den Krieg gewinnen soll, „sage ich nein. Der Krieg muss aufhören.” Das hätte sich auch Martin Dulig gewünscht. Er fragt sich nur, wie es gehen soll. Ihm kommt vor allem die Rolle zu, Kretschmer immer wieder zu fragen, wie ein Verhandlungsfrieden zustande kommen kann. Das dürfe nicht auf Kosten Kiews geschehen: „Opfer der Ukraine, das geht nicht!“ Kretschmer scheint nicht wirklich an die Wirksamkeit von Sanktionen zu glauben, zumal Russland heute mehr Geld mit Energieeinnahmen verdiene als vor dem Krieg, gibt er zu bedenken. Auf die Frage von Dulig und Moderatoren, wie das “Freeze” funktionieren könnte, blieb Kretschmer vage. Lesen Sie auch Deutschland hat sich in seiner Rolle als Verhandlungsmacht immer gut geschlagen. Dies sei nicht mit Neutralität zu verwechseln, er warnt vor Kritik. Allerdings sollte die Bundesrepublik als größtes EU-Land diplomatische Optionen ausloten, als mögliche Partner nennt Kretschmer China und die Türkei. Er antwortete auf Duligs Kritik mit der Bemerkung, er rechne nicht mit einem militärischen Sieg. Am Ende wird es einen Verhandlungsfrieden geben, der so sicher ist wie das Amen in der Kirche. Ein permanenter Krieg berge “riesige Risiken, das ist nicht mein Weg”. Aber es ist schwer zu verhandeln, wenn man gleichzeitig schwere Waffen liefert. Jetzt fehle nur noch der Einsatz deutscher Soldaten in der Ukraine, ein “Riesenproblem”. Sie sind bereits “zu weit die Steigung hinuntergegangen”.
Das Ausmaß der Krise sei “enorm”, sagt Kretschmer
An diesem Punkt dreht sich die Debatte im Kreis, kein Wunder, dass niemand in Brüssel, Washington und Berlin genau weiß, wie der Krieg beendet werden kann. Kretschmers Punkt ist: Wird das jetzt zumindest getestet? Vielleicht wird schon länger hinter verschlossenen Türen darüber gesprochen und „wir wissen es einfach nicht“. Kretschmer befürchtet vor allem, dass die Bundesrepublik die enormen wirtschaftlichen Folgen des Krieges auf Dauer nicht bewältigen kann. Er befürchtet, dass seine Sachsen noch stärker sozial zusammenbrechen werden, als sie es ohnehin schon tun. Das Ausmaß der Krise sei “enorm”. Solche Notlagen – hohe Energiepreise, Inflation – sind sicherlich für ein paar Monate erträglich. Aber zu denken, dass man es jahrelang tragen kann, ist eine „gefährliche Illusion. Es ist alles vorübergehend, aber es ist nicht dauerhaft, das ist mein Hauptpunkt.” Dulig entgegnete, das Einfrieren des Krieges auf Kosten der Ukraine bringe keine Stabilität, sondern höchstens einen kleinen Hauch frischen Wind nach Europa. Dass Putin die europäische Friedensordnung einfach ins Meer geschossen hat, will der Sozialdemokrat nicht hinnehmen. Als Schatzkanzler weiß er sehr genau, wie sehr der Krieg den Freistaat nun trifft. Martin Dulig (SPD) während der Debatte Quelle: Youtube Friedrich-Ebert-Stiftung, Screenshot Die galoppierenden Energiepreise will der Finanzminister mit einer Grundversorgung eindämmen, einem „Grundverbrauch zu einem sozialverträglichen Preis, die Mehrnachfrage dann über Marktpreisen“. Im Zweifel müsse man „auch bei Neuverschuldung für den sozialen Frieden sorgen“. Interessanterweise widerspricht sich Kretschmer hier nicht. Im Krisenmanagement finden Kontrahenten, die sich seit Jahrzehnten kennen, wieder zueinander. Längere Laufzeiten für Atomkraftwerke und Fracking in Deutschland? Beides ist für beide Bedürftigen eher tabu. Kretschmer hofft, dass das Gespräch weitergeht, dass es in diesem Pattkrieg “einen Punkt gibt, an dem es wieder möglich ist”. „Eine Verhandlungslösung muss möglich sein“ – diesen Satz sagt er oft, wenn ihm Beifall gezollt wird. Das spiegelt die Stimmung im Land wider. Die Bereitschaft, die Ukraine langfristig auch zum Nachteil zu unterstützen und Sanktionen gegen Russland aufrechtzuerhalten, ist im Westen viel stärker als im Osten. Die in Sachsen besonders starke AfD hat das bereits erkannt und zum Thema gemacht. Man müsse “radikalem Populismus entgegentreten”, sagt Kretschmer. Aber er kann diesen Populismus wahrscheinlich so wenig bremsen wie der Krieg in der Ukraine. Auf dieser populistischen Welle kann er bestenfalls surfen, zum Leidwesen vieler Parteigänger. Auf der Bühne: Sächsischer Ministerpräsident Martin Dulig (SPD, 2.vl) und Ministerpräsident Michael Kretschmer Quelle: Konrad-Adenauer-Stiftung e. V. – Forum Politische Bildung Sachsen Was am Ende des Gesprächs bleibt, ist das Versprechen, „Menschen sicher durch schwierige Zeiten zu führen“, wie Dulig es ausdrückt. Kretschmer stimmt zu. Ist es noch möglich, mit Putin zu sprechen? Für Dulig ist das undenkbar. Kretschmer sagt, im Zweifel könne man nicht wählen. Er schließt es für sich persönlich aus. Aber auch Michael Kretschmer ist als Gesprächspartner für den Kreml nicht gefragt. Es ist weder der deutsche Außenminister noch die Bundeskanzlerin. Sondern der sächsische Ministerpräsident, der in den vergangenen Jahren immer wieder Ausbrüche aus Teilen der Bevölkerung bei verschiedenen Gelegenheiten erlebt hat. Und der jetzt nach einem Weg sucht, eine Krise zwischen eigenen Ängsten, Skepsis und Verantwortung zu überwinden, von der er vermutet, dass sie brutaler werden könnte als alle anderen in der Vergangenheit. Hier können Sie sich unsere WELT-Podcasts anhören Zur Anzeige der eingebetteten Inhalte ist Ihre widerrufliche Einwilligung zur Übermittlung und Verarbeitung personenbezogener Daten erforderlich, da die Anbieter der eingebetteten Inhalte als Drittanbieter diese Einwilligung benötigen [In diesem Zusammenhang können auch Nutzungsprofile (u.a. auf Basis von Cookie-IDs) gebildet und angereichert werden, auch außerhalb des EWR]. Indem Sie den Schalter auf „on“ stellen, erklären Sie sich damit einverstanden (jederzeit widerrufbar). Dies umfasst auch Ihre Zustimmung zur Übermittlung bestimmter personenbezogener Daten an Drittländer, einschließlich der USA, gemäß Artikel 49 Absatz 1 Buchstabe a DSGVO. Hier finden Sie weitere Informationen dazu. Ihre Einwilligung können Sie jederzeit über den Schalter und über den Datenschutz unten auf der Seite widerrufen.