Chronisch entzündliche Darmerkrankungen: Was Sie wissen müssen
Im Gegensatz zu anderen Darmerkrankungen treten chronisch entzündliche Erkrankungen immer wieder auf und dauern manchmal länger an. Die häufigsten sind Morbus Crohn und Colitis ulcerosa. Bei Colitis ulcerosa ist die Darmschleimhaut betroffen, sodass die Entzündung auf den Dickdarm beschränkt ist. Im Gegensatz dazu kann Morbus Crohn den gesamten Magen-Darm-Trakt vom Mund bis zum Anus betreffen. Die Erkrankung kann die gesamte Darmwand befallen und im schlimmsten Fall zur Bildung von Fisteln führen. Insgesamt sind in Deutschland rund 320.000 Menschen von einer der beiden häufigsten Varianten der chronisch entzündlichen Darmerkrankung (CED) betroffen. Der Trend wird als steigend eingestuft. Typische Symptome einer chronisch entzündlichen Darmerkrankung sind starke Bauchschmerzen, teilweise blutiger Durchfall, Gewichtsverlust und Müdigkeit. Darüber hinaus können weitere Gelenk- oder Hautprobleme hinzukommen. Damit einher geht oft eine gewisse Anspannung und Angst, über die Krankheit zu sprechen und unterwegs keine Toilette zu finden, wenn dies nötig wird. Eine 2021 in The Lancet veröffentlichte Studie zeigt, dass fast jeder dritte Mensch mit CED Angstsymptome hat. Ein Viertel der Probanden zeigt sogar Anzeichen einer Depression. Nach derzeitiger medizinischer Lage sind weder Morbus Crohn noch Colitis ulcerosa ätiologisch behandelbar. Bei der Behandlung geht es vielmehr darum, die Beschwerden für die Betroffenen angenehmer zu gestalten, indem sie ihren Lebensstil anpassen und verschiedene Medikamente einnehmen. Zu den Medikamenten, die häufig nach einer gründlichen medizinischen Diagnose verschrieben werden, gehören Kortison, Mesalazin, Immunsuppressiva, Biologika und Antidiarrhoika. Daher gelten IBDs als unheilbar. Ein internationales Forscherteam hat nun eine neue Methode entdeckt, die Hoffnung auf eine neue Behandlungsoption für Menschen mit CED machen könnte.
Neue Studie: Potenzial sogenannter Phagen
In der Medizin wird seit Jahren nach einer Möglichkeit gesucht, Krankheiten ätiologisch zu behandeln. Ein internationales Forscherteam hat nun erste Erkenntnisse zu einem neuen Verfahren veröffentlicht. Die Forscher traten in ihrer Forschung einen Schritt zurück. Es ist bekannt, dass es im Darm eine Vielzahl von Bakterien gibt, die in einem empfindlichen Gleichgewicht miteinander stehen. Ist diese gestört, schüttet der Körper Antikörper aus, damit zum Beispiel eine übermäßige Bakterienart bestmöglich zurückgehalten wird. Basierend auf diesen Erkenntnissen konzentrierte sich die Forschung darauf, ob und welche Bakterien bei CED eine Rolle spielen. Außerdem sollte untersucht werden, wie diese Bakterien ohne den Einsatz von Antibiotika bekämpft werden können, da letztere unspezifisch sind und auch andere Teile der Darmflora schädigen können.
Im Darm leben viele verschiedene Bakterien. CC0 / Pixabay / JimCoote
+1Bild
Die Beteiligten des Forschungsprojekts konzentrierten sich auf eine andere Möglichkeit, Bakterien zu bekämpfen, und zwar durch Viren. Dazu nutzten sie sogenannte Phagen. Dies sind Viren, die zur Vermehrung auf Bakterien als Wirte angewiesen sind. Phagen haben eine Art kleinen Kopf, der ihr Erbgut beherbergt, sowie eine Art Schwanz und zeichnen sich dadurch aus, dass sie sich auf ein bestimmtes Bakterium spezialisieren können. Anders als das bekannte Coronavirus machen diese Viren nicht krank, sondern können schädliche Bakterien abtöten.
Phagen wirken, indem sie ihre Wirtsbakterien infizieren, auf die sie sich spezialisiert haben. Anschließend weisen sie das Bakterium an, das Genom des Virus zu kopieren. Wiederholt sich dieser Vorgang noch einige Male mit dem infizierten Bakterium, platzt das entsprechende Bakterium und es bleiben nur die neuen Bakteriophagen übrig. Phagen kommen überall auf der Welt vor, vom Abwasser bis zur gesunden Darmflora des Menschen. Zwischen Bakterien und Phagen herrscht ständige Konkurrenz. Ziel der Forscher war es, Phagen im Kampf gegen Bakterien die Oberhand zu verschaffen.
Phagenergebnisse und Kontrolle
Das Forschungsteam wählte 500 Personen für die Studie aus. Einige von ihnen hatten IBD, andere nicht. Bei der Untersuchung des Stuhls fiel auf, dass es einen Unterschied in der Anzahl der Bakterien gibt. Kranke Menschen hatten eine höhere Anzahl bestimmter Bakterienarten als gesunde Menschen. Eine dieser Sorten war die sogenannte Klebsiella, die zwar auch in einem gesunden Darm vorkommt, aber im Übermaß schwere Erkrankungen hervorrufen kann. Viele der gängigen Antibiotika können nicht gegen Klebsiella eingesetzt werden. Die Forscher beschlossen, den Bakterienstamm zu isolieren und ihn Labormäusen zu verabreichen, was zu einer Entzündung in ihrem Dickdarm führte. Die nächsten Schritte zielten darauf ab, eine Kombination von Phagen zu finden, die alle Bakterienstämme bekämpfen. Nach einem langen Prozess konnte das Team eine Kombination an Mäusen testen, die nachweislich die Bakterienbelastung im Kot und in der Darmschleimhaut reduziert. Es wurde bereits eine Folgestudie der Phase 1 durchgeführt, in der die Phagentherapie an 18 gesunden Probanden getestet wurde. Die Studie ergab, dass die Phagen nicht durch den Darmtrakt abgetötet werden und die Behandlung gut vertragen wird. Das Forschungsteam sieht seine Ergebnisse als großen Erfolg. Obwohl das Konzept in weiteren Studien noch intensiv getestet werden muss, etwa im Hinblick auf mögliche Nebenwirkungen und bei Menschen mit CED, zeigen erste Ansätze bereits großes Potenzial.
Fazit
Die Phagentherapie steckt noch in den Kinderschuhen. Die Ergebnisse des Forscherteams sind bemerkenswert: Sie konnten bestimmte Bakterienstämme identifizieren, als mögliche Verursacher identifizieren und einen entsprechenden Antagonisten entwickeln. Unklar bleibt, ob die Behandlung auch von CED-Betroffenen gut vertragen wird und ob auch für sie eine nebenwirkungsfreie Behandlung möglich ist. Außerdem muss bedacht werden, dass die Bemühungen des Forschungsteams nur eine Art von Bakterien betreffen. Mit dem Wissen, dass CED von vielen verschiedenen Faktoren beeinflusst wird, würde der therapeutische Ansatz nicht bei allen CED-Betroffenen ansetzen. Eine zweite Studienphase ist bereits geplant.