16.08.2022, 06:28 16.08.2022, 06:46 Niklaus Vontobel / ch media Umverteilung ist immer eine der Folgen, wenn der Rohölpreis steigt: Geld fließt aus den westlichen Industrieländern in die erdölexportierenden Länder. Dies geschah auch nach dem Ölpreishoch im Jahr 2022, das mit dem Abklingen der Coronavirus-Pandemie begann. Allerdings ist das Ausmaß dieser laufenden Umverteilungsrunde ungewöhnlich groß. Der Ölgigant Saudi Aramco meldete am Montag einen Gewinn von 50 Milliarden Dollar. Und das in nur drei Monaten. Es ist der höchste Gewinn der Welt, den ein Unternehmen je erzielt hat. Hier wird das Megaprojekt von Neom City umgesetzt – aber wird es auch genutzt? Bild: keystone Natürlich kam dieser Geldberg von irgendwo her – nicht nur, aber auch aus den Brieftaschen westlicher Autofahrer und Händler, die für Benzin und Diesel mehr zahlen. Mieter oder Hauseigentümer müssen mehr für Heizöl ausgeben. Die Energiepreise stiegen in der Schweiz, Italien und Deutschland. Dies ist eine der wichtigsten Erklärungen für die Rückkehr der Inflation. Im Durchschnitt sind die Verbraucherpreise so stark gestiegen wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Ölkonzerne: Gewinne großer Unternehmen (in Milliarden Dollar) im zweiten Quartal Quellen: bild-zeitung/statista, Grafik: let In der Schweiz waren es 3,4 Prozent mehr als im Vorjahr. Einer der stärksten Preistreiber waren nach Angaben des Statistischen Bundesamtes Mineralölprodukte. Ihre Preise waren im Juli über 40 Prozent höher als im Vorjahr. Ohne diese Preiserhöhung hätte die Inflation 2,4 Prozent betragen – einen vollen Prozentpunkt weniger. Ohne alle Energie- und Treibstoffkosten würde die Inflation knapp über 2 Prozent betragen. Daher ist das teure Rohöl ein wichtiger Teil der Erklärung, warum die nächste Verdienstrunde eher ein Misserfolg der Arbeitnehmer sein wird. Und das, obwohl der Fachkräftemangel derzeit auf einem Höchststand ist und sich alle Welt wundert, warum es zu wenig Fahrradmechanikerinnen, Köchinnen oder Kellnerinnen gibt. Zudem werden die Reallöhne sogar leicht sinken – das erwartet das KOF Zentrum für Wirtschaftsforschung der ETH Zürich. Nach Wegfall der Inflation können sich Arbeiter mit ihrem Lohn nicht wesentlich mehr kaufen, sondern eher etwas weniger.
„Soziale Unruhen“ treffen auf „Peak Noise“
Gewerkschaften erheben Forderungen von bis zu 5 Prozent und drohen sogar mit „sozialen Unruhen“, wie Gewerkschaftspräsident Pierre-Yves Maillard der SonntagsZeitung sagte. Dagegen konterte Valentin Vogt, Präsident des Arbeitgeberverbandes, gegenüber der «NZZ am Sonntag»: «Wenn es um Lärm geht, sind die Gewerkschaften super.» Doch jenseits des verbalen Streits wird es ruhiger. Unternehmen würden in erster Linie argumentieren, dass sie nicht an den höheren Verbraucherpreisen schuld seien, sie hätten davon nicht in gleichem Maße profitiert, sagt Michael Siegenthaler vom KOF Economic Think Tank. Der Arbeitsmarktexperte sagt: “Die Arbeitgeber werden in Verhandlungen sagen, dass die Inflation wesentlich höher ist, weil wir in der Schweiz viel mehr für Energie ausgeben müssen.” Nach dieser Logik würde gelten: Es gibt nicht viel Geld von Unternehmen in der Schweiz – es ist in die erdölexportierenden Länder geflossen. Die Gewerkschaften sollten nicht mit “sozialen Unruhen” mit dem Arbeitgeberpräsidenten Valentin Vogt drohen, sondern mit Mohammed bin Salman, dem Kronprinzen Saudi-Arabiens und De-facto-Chef. Jetzt kann er den großen Sieg von Saudi Aramco mit beiden Händen holen. Der Glücksfall ist genau das Richtige: Mohammed bin Salman, Saudi-Arabiens Kronprinz und De-facto-HerrscherBild: Cornerstone
Unerwartet mit 12 Nullen
Diese 48,4 Milliarden Dollar sind jedoch nicht die einzige Folge der massiven Umverteilung an Ölexporteure. „Der Ölboom 2022 wird riesige Geldsegen bringen“, schrieb der Economist kürzlich. Der Internationale Währungsfonds hat das Ausmaß dieses Segens geschätzt. In den nächsten vier bis fünf Jahren werden mehr als eine Billion Dollar in die Öl exportierenden Länder des Nahen Ostens und Zentralasiens fließen. 1 Billion, das sind 1000 Milliarden oder 1.000.000.000.000. Gold-Leistungsbilanzüberschuss oder -defizit (in Prozent des weltweiten BIP) Quellen: Weltbank/The Economist Für Ölexporteure ist es wie ein Sechser im Lotto – und wie alle Lottogewinner fragen sie sich, was sie als Nächstes tun sollen. Tatsächlich entschieden sie sich, das Geld nicht zu verschwenden, wie der „Economist“ schreibt. Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate haben Subventionen gestrichen und neue Steuern eingeführt. Dennoch könnten am Ende gigantische Verschwendungen stehen, da beispielsweise Saudi-Arabien sein Heil in massiven Infrastrukturprojekten sucht. Die Stadt Neom zum Beispiel wird mitten in der Wüste gebaut, für etwa 500 Milliarden Dollar – und es stellt sich nicht einmal die Frage: Wer nutzt das Zeug? Schließlich könnte es der letzte Ölboom dieser Art sein, denn der Westen kann tatsächlich einen massiven Ausbau erneuerbarer Energien vorantreiben. Vor kurzem haben die USA ein neues Gesetz verabschiedet, das über einen Zeitraum von zehn Jahren 370 Milliarden US-Dollar in die Abkehr vom Öl investieren wird. US-Präsident Joe Biden jubelte auf Twitter, sein Land werde bald viermal so viele Solarmodule haben wie heute, fast eine Milliarde. Im Jahr 2021 waren in Amerika 240 Millionen Solarmodule in Betrieb. In acht Jahren werden es dank des Deinflation Act fast eine Milliarde sein. pic.twitter.com/t94QKR1qZk – Präsident Biden (@POTUS) 13. August 2022
Kritiker: Unanständiger Klatsch
Am anderen Ende dieser Umverteilung haben Sie andere Bedenken. In den Industrieländern muss die Bevölkerung zumindest teilweise vor erhöhten Energiekosten geschützt werden. Wer wie geschützt werden soll – darüber wird intensiv diskutiert. Ökonomen plädieren dafür, den Bedürftigsten möglichst direkt zu helfen. Andererseits sollte man zum Beispiel Benzin nicht künstlich billiger machen, sonst geht das Preissignal verloren: Benzin ist teuer – also lieber ein Elektroauto kaufen oder auf öffentliche Verkehrsmittel umsteigen. Konservative Politiker wiederum halten dies für überirdischen Klatsch. Schließlich hätten viele Menschen ihr Leben um das Benzinauto herum aufgebaut, zum Beispiel die Wahl ihres Wohn- und Arbeitsortes – sie könnten nicht alles schnell ändern. In westlichen Industrieländern wie der Schweiz und Saudi-Arabien herrschen heute sehr ungleiche Anliegen. (aargauerzeitung.ch)
Und jetzt: 32 absurde Zensuren aus Saudi-Arabien
1/33 Und jetzt: 32 absurde Zensuren aus Saudi-Arabien
Das frauenfeindliche Land wurde in die Kommission der Vereinten Nationen für die Rechte der Frau gewählt
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