Allerdings wird es für „normale“ Winzer Jahr für Jahr schwieriger, Wein an die Gastronomie zu verkaufen. “Die Weinhändler haben alles aufgegriffen und zunächst zehn Kisten Wein gratis angeboten.” Dies war für kleine Winzer nicht möglich. Außerdem war der Literpreis bis dahin stark gesunken.
“Dumme” Studie
Josef Pleil, ehemaliger Präsident des Österreichischen Weinbauverbandes, führt die wahren Wurzeln des Weinskandals bis in die frühen 1970er Jahre zurück, damals auf Druck von Weinhändlern und laut Pleil einer „dummen“ Studie zufolge Weinkonsum innerhalb von zehn Jahren von 35 auf 75 Liter pro Einwohner steigen würde, durfte jeder Winzer im Grenzgebiet 0,5 Hektar pro Betrieb zusätzlich bepflanzen. ORF Anfang der 1970er-Jahre wuchs die Rebfläche des Landes um ein Drittel – mit schwerwiegenden Folgen Die Pflanzungen führten nach fünf Jahren zu einer Flächenausdehnung von ca. 15.000 Hektar mit entsprechender Überproduktion. „Es stellte sich heraus, dass dieses Zugeständnis der Regierung eine falsche Politik war und ins Chaos führte, denn Anfang der 1980er-Jahre ging der Weinkonsum in ganz Europa zurück und in der Folge gab es einen riesigen Weinüberschuss mit extremen Preissenkungen“, sagt Pleil .
Der Betrug beginnt
Aber in Deutschland gab es damals eine große Nachfrage nach süßen Weinen. Einige „erfinderische Spezialisten“ versuchten nun, diesen Süßweinbedarf zu bedienen, indem sie aus einfachen, billigen Tafelweinen hochwertige Prädikatsweine verfälschten, mit Diethylenglykol versetzten und zu Tiefstpreisen anboten. „Anfangs hat das ganz gut funktioniert“, sagt Pleil.
1985: Wie aus Landwein Süßwein wurde
Und das so gut, dass Weinhändler bei den vielen nebenberuflichen Winzern große, sogar sehr große Mengen Wein kauften. Warum die Nachfrage plötzlich so groß war, wurde nicht bestritten. „Er war eigentlich in Ordnung mit uns. Wir hatten weniger Arbeit, aber wir haben mehr verdient“, sagt ein Winzer heute hinter verschlossenen Türen.
Anonymer Hinweisgeber
Ein unbekannter Mann mit deutschem Akzent gab erste Hinweise auf den Betrug. Am 21. Dezember 1984 erschien er in der landwirtschaftlich-chemischen Bundesanstalt in Wien, stellte eine Flasche mit einer Flüssigkeit auf den Tisch und sagte: „Mit diesem Produkt wird Wein verfälscht“, sagt Pleil. ORF/Seiser Lange konnten chemische Analysen Fälschungen nicht identifizieren Ein Chemiker untersuchte die wasserhelle, sirupartige Flüssigkeit. Nach einer Woche war die chemische Zusammensetzung des Medikaments klar: Es war Diethylenglykol. Doch bis die Ermittler genügend Beweise hatten, um an die Öffentlichkeit zu gehen, mussten noch einige Monate vergehen. In dieser Zeit machte sich die Eidgenössische Weininspektion ans Werk und kontrollierte nun gezielt jene Weingüter, die schon lange der Weinverfälschung verdächtigt wurden.
Das Ministerium schlägt Alarm
Am 23. April 1985 schlug das Landwirtschaftsministerium Alarm und warnte davor, dass Weine aus Niederösterreich und dem Burgenland mit Diethylenglykol versetzt worden seien. Mit der üblicherweise in Frostschutzmitteln enthaltenen Chemikalie soll der Fasswein süßer und voller schmecken. Lokale Winzer hatten seit 1978 Weinen mindestens 340 Tonnen Glykol zugesetzt – hauptsächlich um künstliche „Süßweine“ herzustellen.
1985: Die Weinpantschers werden ausgestellt
Ein großer Teil des beanstandeten Weins stammt aus dem Wagramgebiet, insbesondere aus Fels, wo einer der größten Weinhändler Österreichs beteiligt war. Den Hinweis bekamen die Betrüger von einem Apotheker, der in Grafenwörth (Kreis Tulln) ein Labor unterhielt. Der Glykolskandal erschütterte die gesamte heimische Weinbranche, obwohl kleinere Winzer nicht involviert waren, erinnerte sich Pleil. Auch Winzer Eduard Magerl bekam die Folgen sofort zu spüren. Dann lieferte er zweimal wöchentlich nach Wien. Doch plötzlich brachen die Verkäufe ein. Die Gäste redeten nur über die „Weinhose“ und „was wir da reingemischt haben“.
“Könnte nicht besser sein”
Bei Fels am Wagram, das plötzlich ans Licht kam, seien die Vorwürfe “überhaupt nicht zu glauben”, sagt Magerl. Schließlich war einer der betroffenen Weinhändler auch Bürgermeister der Stadt. “Es könnte keinen besseren Politiker geben, mit über 100 Mitarbeitern, einem großen Arbeitgeber und sehr beliebt.” Ein Grund dafür war wohl, dass der Betrieb des Ortsvorstehers bei fast allen Winzern im Ort Trauben kaufte und dafür gutes Geld bekam. ORF Das Labor des beratenden Chemikers aus Grafenwörth Aber was danach mit dem Wein passierte, wie er verfälscht wurde, das habe niemand gemerkt, sagt Magerl, der auch 20 Jahre lang Präsident des Weinbauverbandes war. Seine Frau war damals sogar bis kurz vor dem Skandal die Winzerkönigin der Region und förderte die Weine in Österreich. Im Nachhinein könne man über die Brüder „nichts falsch machen“, „sie haben nichts falsch gemacht, außer den Staat zu betrügen – sehr mächtig“.
Künstlicher Wein ohne Trauben
“Es hat lange gedauert, bis sie es herausgefunden haben, weil die Testmethoden nicht sehr ausgefeilt waren”, sagt Pleil. Es ging sogar so weit, dass Weinhändler echten künstlichen Wein herstellten, der überhaupt keine Trauben enthielt. Die Landwirtschaftliche und Chemische Bundesanstalt hat daraufhin ein Verfahren mit einer Nachweisgrenze von 100 mg Diethylenglykol pro Liter Wein entwickelt. Österreich
100 Jahre Niederösterreich
Diese Nachweisgrenze machte die Runde in der Weinszene und hatte tödliche Folgen, denn die Ehebrecher steigerten das Ausmaß des Skandals um mehr als das Zehnfache. Um den Glykolgehalt unter die Labornachweisgrenze von 100 mg pro Liter Wein zu drücken, wurde er 1:10 mit unverfälschtem Wein gemischt. Dies erklärt die hohen Schadenszahlen von mehreren hundert Millionen Schilling.
Kläranlagen kollabieren
Bereits im Juli 1985 hatten Chemiker ein Testverfahren entwickelt, das Mengen bis hinunter zu fünf Milligramm zuverlässig nachweisen konnte. In Panik schütteten einige Fälscher den Glykolwein einfach in den Abfluss, nur um nicht erwischt zu werden, was zum Einsturz von Kläranlagen führte. Aber die Show war vorbei und es gab kein Entrinnen. ÖVP Von da an waren die Betrüger auf dem Weg der Besserung. Die zur Aufklärung des Weinskandals eingesetzten 55 Kriminalbeamten Niederösterreichs und der zwölf Burgenländer Kriminalbeamten zeigten nach mehr als 850 Hausdurchsuchungen (davon 60 in Chemiefabriken) mehr als 1.000 Verdächtige bei der Staatsanwaltschaft an. Beamte trafen sich mit einem Weinbauern, weil er zuvor große Mengen Frostschutzmittel steuerlich geltend machen wollte, obwohl er nur einen kleinen Traktor hatte. Mehr als 26 Millionen Liter gepanschten oder gepanschten Weins wurden beschlagnahmt.
“Der Deutsche starb an vergiftetem Wein!”
Der Weinskandal schlug in Österreich ein wie eine Bombe. Die “Kronen Zeitung” titelte am 20. Juli 1985: “Pantscher-Skandal breitet sich aus – tödlich gekühlter Wein in Graz!” Der “Kurier” vom 24. Juli fügte hinzu: “Der Deutsche starb an vergiftetem Wein!” – was sich als falsch herausstellte. Seit dem 26. Juli erscheinen in Tageszeitungen unter der Überschrift „Vor diesen Weinen wird jetzt gewarnt!“ Listen mit Namen von Erzeugern und Inverkehrbringern von gesundheitsschädlichen Weinen. Ein Mann mit Tradition Der Skandal wurde international, als im deutschen Fernsehen über vergifteten Wein berichtet und Kaufhausregale vor laufender Kamera von österreichischem Wein geräumt wurden. Die Weinexporte brachen über Nacht um 95 Prozent ein. Die New York Times titelte den österreichischen Weinskandal. Auch Australiens Weinexporte nach Asien brachen kurzzeitig ein, weil die Asiaten Österreich mit Australien verwechselten. Der Weinskandal war dann wochenlang ein großes Thema in den österreichischen und deutschen Medien. Millionen Flaschen Wein mussten vom Markt genommen werden, ermittelte die Staatsanwaltschaft. „Der gesamte österreichische Weinexport ist eingebrochen“, sagt Josef Pleil. Der ehemals angesehene österreichische Wein wurde auf einen Schlag verboten und war im Ausland nur sehr schwer zu verkaufen.
Unschuldige Insolvenzen
Allmählich wirkte sich dies auch auf die Unternehmen aus. “Viele große Unternehmen haben ihren Markt verloren und sind bankrott gegangen, viele davon waren nicht in den Skandal verwickelt.” Dies beeinflusste Winzerverbände und erfolgreiche Exportweingüter wie Lenz Moser. Aber auch viele kleinere Unternehmen verloren damals ihre finanzielle Basis. Lenz Moser Die Firma Lenz Moser musste wegen Einstellung des Exports Konkurs anmelden Zwischen dem 20. Juli 1985 und dem 25. Februar 1986 wurden 80 Verdächtige festgenommen. Die Brüder aus Fels am Wagram galten als Panzerkönige. Die damals zuständige Staatsanwaltschaft beim Amtsgericht Krems errechnete allein für ihr Unternehmen einen Schaden von umgerechnet mehr als 25 Millionen Euro. Auch die Firma ging in Konkurs, allerdings laut Magerl mit dem richtigen Willen…