Wien. Am 9. Oktober ist Österreich aufgerufen, einen Bundespräsidenten zu wählen. Mit anderen Worten: zu entscheiden, ob Alexander Van der Bellen weitere sechs Jahre in der Hofburg bleiben wird – oder nicht. Ganz Österreich? Nein, denn wie APA auf Basis von Daten der Statistik Austria errechnet hat, ist der Anteil der Wählerinnen und Wähler im Land in den letzten Jahren massiv gesunken. Grund dafür ist die große Zahl von Menschen, die hier ohne österreichische Staatsbürgerschaft leben. Unter den allein hier lebenden Erwachsenen, die grundsätzlich wahlberechtigt wären, weil sie das 16. Lebensjahr vollendet hätten, sind es rund 1,4 Millionen. Damit dürfen 18 Prozent der Erwachsenen in Österreich bei der Bundespräsidentenwahl nicht über die Zukunft des Landes mitreden. Zum Vergleich: Vor 20 Jahren wären gerade mal 580.000 Menschen über 16 Jahre mangels Pass vom Wahlrecht ausgeschlossen gewesen (damals war das Wahlalter noch nicht 16 Jahre alt). Inzwischen stagniert die Wahlbeteiligung. Bei den Nationalratswahlen 2019 waren 4.000 Personen weniger wahlberechtigt als 2017 und bei der Bundestagswahl 2016.
In Wien ist jeder Dritte stimmlos
Den Angaben zufolge sind in Innsbruck und Salzburg rund 30 Prozent der wahlberechtigten Bevölkerung nicht wahlberechtigt, in Linz und Graz ist es – Stand 1. Juli 2022 – rund ein Viertel. In Wien liegt der Durchschnitt bei knapp einem Drittel – allerdings gibt es in der Bundeshauptstadt starke regionale Unterschiede: In einzelnen Bezirken besitzen vier von zehn wahlberechtigten Wienerinnen und Wienern keine österreichische Staatsbürgerschaft. Die höchsten Quoten liegen jedoch außerhalb der Ballungsräume, da einige Gemeinden Sonderfälle sind: Die Enklaven Jungholz in Tirol mit 66 Prozent und Mittelberg in Vorarlberg mit 51 Prozent der Nichtwähler sind von Österreich aus nur über deutsches Staatsgebiet zu erreichen. Viele slowakische Familien haben sich aufgrund der Nähe zu Bratislava in Kittsee im Burgenland und Wolfsthal in Niederösterreich niedergelassen. Allerdings ist die Quote beispielsweise im Vorarlberger Rheintal konstant hoch.
Der Spezialist sieht ein Problem
Für den Politikwissenschaftler Peter Filzmaier ist es nicht unproblematisch, wenn der Anteil derer, die nur bedingt an der Demokratie des Landes, in dem sie leben, teilhaben können, hoch ist: Denn auch Staatenlose sind von den Entscheidungen des politischen Systems betroffen , aber ohne Grund sagen zu dürfen. Dadurch könnten potenziell unerwünschte Ventile für Ressentiments geschaffen werden. „Da Menschen von den Entscheidungen des politischen Systems dort betroffen sind, wo sie leben, könnte es statt an der Staatsbürgerschaft auch an ihrem Wohnort liegen“, sagt Filzmaier. Nachtrag: Allerdings erst nach längerem Aufenthalt. Van der Bellen selbst schlug im Mai vor, den Zugang zur Staatsbürgerschaft zu erleichtern, doch die ÖVP lehnte dies entschieden ab. Aber Filzmaier wünscht sich wegen der Zahlen auch eine Diskussion über das Wahlrecht – „aber möglichst weit weg von jeder Wahl“. (APA) (“Die Presse”, Printausgabe, 16. August 2022)