Von: Thomas Copytz Aufteilung Hohe Ehre für Göttinger Forscher: Professor Alexander Flügel von der Universitätsmedizin Göttingen (UMG) erhielt den Sobek-Preis für seine bahnbrechende Forschung zur Multiplen Sklerose (MS) – aus den Händen von Dr. Hans J. Reiter vom Wissenschaftsministerium Baden-Württemberg. © AMSEL/Frank Eppler/nh Ein Göttinger Forscher arbeitet an direkten Einblicken in die Entstehung von Multipler Sklerose. Dies könnte zu einer neuen Behandlung führen. Göttingen – Multiple Sklerose – kurz Multiple Sklerose – gilt als die Krankheit mit den 1000 Gesichtern, sie ist unberechenbar, manchmal bleibt sie stationär oder schreitet schnell fort – mit schrecklichen Folgen für die Betroffenen. Die tödlichen Entzündungsherde im zentralen Nervensystem (ZNS), die für MS charakteristisch sind, können jetzt leicht sichtbar gemacht und identifiziert werden. Doch direktes Wissen über den Entzündungsherd und das Geschehen war lange Zeit nicht möglich. Daran arbeitet der Göttinger Forscher Alexander Flügel seit vielen Jahren. Heute kann er direkt beobachten, was an den Entzündungsstellen im ZNS und sogar bei der Entstehung von MS passiert. Dies führt zu einem besseren Verständnis der Krankheit. Möglich macht das eine spezielle Mikroskopietechnik, die er mit seinem Team optimiert hat. Die Ergebnisse dieser Forschung könnten auch für Menschen mit MS nützlich sein. Weltweit gibt es etwa 2,5 Millionen davon. Die Erkenntnisse von Alexander Flügel, seit 2008 Professor für Neuroimmunologie und Direktor des Forschungsinstituts für Neuroimmunologie und Multiple Sklerose an der Universitätsmedizin Göttingen (UMG), führen zu einer neuen Sichtweise auf die chronisch entzündliche Erkrankung MS: Multiple Sklerose muss als systemischer Prozess zu sehen und nicht nur als zentralnervöse Immunreaktion, sagen die Juroren der Sobek-Stiftung, die den Göttinger nun mit einem großen Preis krönten. Flugels Forschungsergebnisse bieten „die Möglichkeit, die Stadien von Krankheitsprozessen differenzierter zu definieren und damit therapeutisch besser zu beeinflussen“, so die Experten der Jury der Sobek-Stiftung weiter. Sie verlieh dem UMG-Professor nun den europaweit größten Forschungspreis im Bereich der Grundlagenforschung zu Multipler Sklerose, dotiert mit 100.000 Euro. Die von Flügel entwickelte bahnbrechende Methode der In-vivo-Mikroskopie schuf die Voraussetzungen für die direkte Beobachtung von Vorgängen im ZNS. Dazu markierte er Antigen-spezifische T-Zellen mit einem grün fluoreszierenden Protein, um sie beim Eintritt in das ZNS im lebenden Organismus sichtbar zu machen. In Kombination mit der 2-Photonen-Mikroskopie gelang es ihm erstmals, die Navigationsmuster von T-Zellen durch die Blut-Hirn-Schranke in einem lebenden Modell abzubilden. Auf diese Weise konnte Flügel die Bewegung pathogener T-Zellen über die Hirnhäute und die molekularen Regeln hinter diesem krankheitsbedingten „T-Zellverkehr“ charakterisieren. Überraschend ist auch seine Entdeckung, dass sich selbstaggressive T-Zellen, die sich gegen den eigenen Körper richten, nahezu mühelos durch das dichte Nervengewebe bewegen können, bis sie auf lokale Makrophagen (große Zellen des Immunsystems) treffen und von diesen aktiviert werden. Dies führt zu einer Immunkettenreaktion, die den eigentlichen Ausbruch der Krankheit signalisiert. Seine Methode ermöglicht somit eine direkte Projektion dessen, was an den Entzündungspunkten im ZNS passiert. Der Leiter des baden-württembergischen Ministeriums für Wissenschaft, Forschung und Kunst, Hans J. Reiter, würdigte Flügels Leistungen bei der Preisverleihung mit herausragenden Worten: „Ihre Arbeit ist ein wichtiges Puzzleteil zur Erkennung von Multipler Sklerose.“ Entwicklung und ihre Mechanismen zu verstehen und zu verstehen. Reiter sagt sogar: “Dank Ihrer Forschung wird diese Krankheit hoffentlich eines Tages heilbar sein.” Das ist auch die Motivation für Alexander Flügel, der mit seinem Team und den Erkenntnissen aus der Grundlagenforschung die Anwendungsforschung und letztlich die Translation in die klinische Arbeit – also Diagnose und Behandlung, also Behandlung – vorantreiben will. (Thomas Copytz)
Zur Person: Prof. Dr. Alexander Flügel
Professor Doktor. Alexander Flügel wurde 1965 in Erlangen geboren, studierte Medizin in München und promovierte dort mit Auszeichnung in Physikalischer Chemie und Zellbiologie. Seit 1994 beschäftigt er sich am Max-Planck-Institut für Neurobiologie mit Neuroimmunologie. Nach zwei klinischen Jahren wechselte er komplett in die Grundlagenforschung und leitete das Labor für zelluläre und molekulare Neuroimmunologie in Martinsried. Seit 2008 ist er Direktor des Instituts für Neuroimmunologie und MS-Forschung am Universitätsklinikum Göttingen. Er veröffentlicht seine Arbeiten in renommierten internationalen Fachzeitschriften und wirkt auf administrativer Ebene in wissenschaftlichen Gremien in ganz Europa mit. Der Europäische Forschungsrat (ERC) fördert ihre MS-Forschung ab 2021 mit einem Advanced Grant. Darüber hinaus erhielt Flügel eine starke Forschungsförderung und wurde in mehrere Verbundprojekte eingebunden. (tko)
Hintergrund: Multiple Sklerose (MS) – Entstehung und Zusammenspiel vieler Faktoren noch ungeklärt
Die Ursache von MS ist (noch) nicht geklärt. Eine Reihe von Ursachen werden vermutet. Mehrere Bedingungen scheinen zusammenkommen zu müssen, damit sich MS entwickelt. Das genaue Zusammenspiel dieser Faktoren ist nicht bekannt. Dabei spielt das körpereigene Abwehrsystem, das Immunsystem, eine zentrale Rolle. Das Immunsystem schützt vor Krankheitserregern und macht sie unschädlich, sobald sie in den Körper gelangen. Bei MS scheint ein Teil dieses Abwehrmechanismus falsch programmiert zu sein, das heißt, er wendet sich gegen den gesunden Körper selbst. Eine Fehlfunktion des Immunsystems führt auch zur Bildung von Abwehrelementen (Zellen und Proteine/Antikörper, Entzündungsstoffe), die Myelin, Nervenzellen und deren Nervenfasern schädigen und zerstören können. Die Beteiligung genetischer Faktoren kann nicht ausgeschlossen werden und wird intensiv untersucht. Dies bedeutet jedoch nicht, dass es eine direkte Vererbung der Krankheit gibt – was vererbt wird, ist vielmehr eine „Veranlagung“ für die Krankheit, eine Veranlagung. Auch der Einfluss von Umweltfaktoren wie Infekten im Kindesalter, aber auch andere Aspekte wie Vitamin D und Ernährung werden als mögliche Faktoren vermutet, die eine solche Neigung verstärken können. Autoimmunerkrankungen werden oft im Zusammenhang mit MS erwähnt. Dem Immunsystem wird eine Schlüsselrolle bei der Entstehung und dem Fortschreiten der MS zugeschrieben. (tko mit dmsg)