Philosoph mit dem nötigen Weitblick

Schmid zeigt, dass ein Philosoph im Krankenhaus manchmal an seine Grenzen stößt. Als er sein Amt antrat, war er fest davon überzeugt, dass er scheitern würde – was soll ein Philosoph in einem Krankenhaus tun, in dem es manchmal um Leben und Tod geht? Aber vielleicht hat gerade ein Philosoph die nötige Einsicht in Zeiten von Krankheit und Krise. Schließlich muss eine aktuelle Philosophie die kleinen und großen Fragen des Lebens beantworten: Was bedeuten Berührungen, Gewohnheiten, Wünsche, Schönheit? Was ist Glück? Hat dein eigenes Leben, dein Leben einen Sinn? Wie kann Orientierung für das Leben gefunden werden? Wie gehe ich mit Wut, Lebenskrisen, Enttäuschungen, Schmerz, Krankheit und Tod um? Der Privatphilosoph Wilhelm Schmid

Spirituelle Speise für die Kranken

Angefangen hat alles mit der Frage nach der Bedeutung von Schmerz. Wilhelm Schmid hatte darüber einen Artikel für eine Zeitung geschrieben und wurde daraufhin von den Ärzten eines Spitals in der Nähe von Zürich eingeladen, einen Vortrag darüber zu halten – und schließlich gebeten, seine Philosophie „umzusetzen“. Daraus entwickelte sich für den bekannten Philosophen rund zehn Jahre lang ein Nebenjob. Programmhinweis: “Fokus” – Lebensthemen auf ORF Radio Vorarlberg Er entdeckte, wie wichtig es für Menschen ist, über Dinge sprechen zu können, für die sonst kaum jemand Zeit hat. Der Philosoph ist ein Gesprächspartner des Lebens, ein weltlicher Seelsorger. Das Bedürfnis nach seelischer Nahrung, insbesondere bei Kranken, ist kein neuzeitliches Phänomen, auch antike Denker beschäftigten sich damit. Lange vor dem Christentum bezeichnete Sokrates seine Tätigkeit als Seelsorge, als Hilfe für andere Menschen, für sich selbst zu sorgen.

Das Leben ist voller Freude und Wut

Die Gedanken im Krankenhaus kreisten um verschiedene Probleme. Schmid war erstaunt, wie sehr Menschen an Problemen festhalten, manche Probleme sogar benennen, anstatt nach Lösungen zu suchen. Er fand auch heraus, dass Menschen es lieben, über ihr Leben zu sprechen. “Das ist gut”, sagt er. Denn dadurch entsteht oft ein roter Faden im Leben des Menschen und er kann manchmal erfahren, dass das Leben bisher seinen Sinn hatte. „Das Leben bietet viel“, sagt Schmid, aber es bietet immer auch viele Gegensätze. Zu jedem Positiven gibt es ein negatives Gegenstück – und das ist schwer zu akzeptieren. Es gibt nicht nur Freude im Leben, es gibt auch Ärger. Es gibt Gesundheit, aber auch Krankheit, Vergnügen und Schmerz, Erfolg und Misserfolg. Sie sollten Ihre Lebenserwartungen entsprechend anpassen, rät Schmid. Es ist besser, mit dieser Polarität des Lebens zu leben, wenn wir sie überhaupt annehmen. Buchtipp: „Das Leben verstehen. Aus den Erfahrungen eines philosophischen Pfarrers“ – Wilhelm Schmid, Suhrkamp-Verlag

Konzentrieren Sie sich auf das Schöne

Schmid erlebte während seiner Krankenhausarbeit, wie verzweifelt kranke und schwache Menschen oft sind. „Wenn Patienten gefragt wurden, ob es etwas Gutes in ihrem Leben gebe, sagte das Krankenhaus oft nein“, sagt Schmid. Auf der Suche nach Entlastung, nach einer verbesserten Situation, zeigte sich, wie wichtig es ist, sich auf das Schöne und auf alles, was schön sein kann, zu konzentrieren. Ausnahmslos fand Schmid dann in einer Tätigkeit etwas, das die Patienten schön fanden – und das ihnen Energie gab. Wenn ein Philosoph ein Buch mit dem Titel „Das Leben verstehen“ schreibt und darauf hinweist, dass alles sein bedeutungsvolles Gegenteil hat, dann kommt er natürlich um das Thema Tod nicht herum – erst recht nicht, wenn er in einem Krankenhaus arbeitet. „Wir verdanken dem Tod das Leben“, sagt Schmid. Das Leben gewinnt seine Spannung und Einzigartigkeit aus der Tatsache, dass es zeitlich begrenzt ist. Wenn du das erkennst, schiebst du nicht mehr auf, was du noch erleben möchtest.

Gespräche über das Leben helfen, das Leben zu verstehen

Etwas unerwartet begann der Philosoph seine Arbeit als Pfarrer in einem Schweizer Krankenhaus und war sich zunächst nicht sicher, ob er dort am richtigen Ort ist, ob er etwas Wichtiges für die Patienten tun kann. Aus dem Fazit war klar: „Menschen brauchen Gespräche über das Leben, sie brauchen geistige Nahrung. Das hilft, das Leben besser zu verstehen. Das gibt Richtung und Energie“, sagt Schmid. Jetzt fragt er sich, wie viele Krankenhäuser wirklich auf Philosophen verzichten.