Gerhard Gnuck
       Politischer Korrespondent für Polen, Ukraine, Estland, Lettland und Litauen mit Sitz in Warschau.       

„Es scheint eine neue Strategie der Ukrainer zu sein, auch Luftwaffenstützpunkte tief in der russischen Offensivzone anzugreifen“, sagt Joachim Krause, Leiter des Instituts für politische Sicherheit an der Universität Kiel, der FAZ. ob bald ein Stützpunkt auf russischem Boden eröffnet werde – also nicht auf der seit 2014 besetzten Krim. Krause erwähnt in diesem Zusammenhang einen Vorfall in der Nacht zum Donnerstag, als angeblich ein Luftwaffenstützpunkt in Weißrussland angegriffen die auch von Russland betrieben wird.

Unsicherheit “psychologisch gezielte Kriegsführung”

Bisher hat die Ukraine keine Verantwortung für den Angriff auf den Stützpunkt auf der Krim übernommen. Über die Explosionen sei nur sehr wenig bekannt, sagt Militärexperte Krause. Die häufigste Annahme ist, dass die Ukrainer improvisierte “Grim”-Raketen entwickelt haben, die eine Reichweite von mehr als 280 Kilometern zu haben scheinen. Es ist jedoch nicht klar, wie sie das Luftverteidigungssystem S-400 hätten überwinden können. Krause hält die Alternativhypothese, wonach der Angriff von Guerillas mit Mörsern oder Drohnen durchgeführt wurde, für schwächer. Dafür sind die auf Satellitenbildern abgebildeten Einschlagskrater wiederum zu groß.

Kiews Zurückhaltung hat noch einen anderen Grund. „Der Krieg ist definitiv nicht die Zeit für Eitelkeiten und laute Äußerungen“, sagte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj am Donnerstagabend. Je weniger Details bekannt sind, desto besser für die Verteidigung der Ukraine. Eine gewisse Unsicherheit könne “kriegspsychologisch gewollt” sein, sagt Krause. Allerdings könne man spätestens mit der Verwüstung auf der Krim sagen: “Die Ukrainer ergreifen die Initiative.” Bisher hat Russland die Führung übernommen. “Jetzt sieht man, dass die Russen sich an vielen Stellen eingraben und behaupten wollen.” Es ist jedoch davon auszugehen, dass sich Russland an die veränderte Bedrohungslage anpassen wird. Es fehlt an Waffen und ausgebildetem Personal. Aber “die Russen haben bewiesen, dass sie aus Fehlern der Vergangenheit lernen können”, sagt Krause. Von der russischen Militärführung erwartet der Militärexperte realistische Konsequenzen: “Sie werden wahrscheinlich weiterhin Kampfflugzeuge abziehen – in einem Radius, der außerhalb der vermeintlichen Reichweite dieser möglichen neuen Raketen liegt.” Allerdings bedeutet dies auch, dass die Einsatzfähigkeit russischer Flugzeuge reduziert wird. Es wäre also von Vorteil für die Ukrainer, wenn sie die Russen zwingen könnten, ihre Flugzeuge von den abgelegenen Stützpunkten abzuziehen.

Nicht nur die offizielle Version verbreitete sich in Russland

In Russland kursierten vor allem in den sozialen Medien Bilder von fliehenden russischen Touristen am Strand und später von Fahrzeugen, die auf der Brücke zwischen der Krim und dem russischen Festland Schlange standen. Obwohl das Verteidigungsministerium in Moskau schon früh eine Version vorgelegt hatte, wonach Munition am Flughafen nur wegen Verstößen gegen den Brandschutz explodiert sei, sprachen russische Medien oft von mehreren möglichen Szenarien. Der Version des Verteidigungsministeriums wurde nicht direkt widersprochen, aber andere mögliche Ursachen wurden genannt.