Es war Venedigs größtes Stadtplanungsprojekt seit dem Zweiten Weltkrieg und möglicherweise ein letzter verzweifelter Versuch, die Stadt in die Zukunft zu führen. Das Wichtigste fehlt jedoch auf Campo Junghans: Menschen – fehlen überall auf den Touristenpfaden. Für die meisten Besucher ist Venedig immer die gleiche romantische Kulisse. Kaum eine andere Stadt bietet eine so unverwechselbare Identität und man bekommt schnell den Eindruck, als sei sie in der Dogenzeit erstarrt, um seitdem malerisch zu verfallen. Aber Venedig war schon immer modern. Über den Bahndamm hinweg prägt am linken Ortsrand eine postmoderne Wohnsiedlung das Bild. Am Piazzale Roma, dem Tor zur Stadt, überblickt das vom Stadtplaner Eugenio Miozzi entworfene Parkhaus aus den 1930er Jahren die futuristische Ponte della Costituzione von Santiago Calatrava. In der Zwischenzeit erwartet die moderne Straßenbahn Fahrgäste zum Festland. Ein paar Schritte weiter erstreckt sich das Bahnhofsgebäude Santa Lucia von 1952 entlang des Kanals, und schräg gegenüber versuchte die Stadt 1959 mit einem Versuchsbau von Giuseppe Samonà, ihre Rolle als Verwaltungszentrum zu betonen. Moderne Architektur hat nun auch den berühmtesten Platz und damit das Herz der Stadt erreicht: Stararchitekt David Chipperfield hat mit der dezenten Restaurierung der alten Prokuratie am Markusplatz den Nordflügel des Gebäudes in die Gegenwart geholt. Zunächst arbeiteten und wohnten hier Bauamtsmitarbeiter, später war der Komplex nur noch Verwaltungszentrum der Serenissima, dann übernahm nach und nach die Versicherungsgesellschaft Generali das labyrinthische Gebäude – das schließlich weitgehend leer stand. Es ist eine introvertierte Arbeit, von außen fast unsichtbar. Im Inneren hingegen wurden 12.000 Quadratmeter Fläche neu definiert. Während das Loft zu einem Ausstellungs- und Veranstaltungsraum umgebaut wurde, behielten einige der alten Büros im ersten und zweiten Stock ihre Funktion: echte Arbeitsplätze in einer Stadt, die heute fast ausschließlich als touristischer Dienstleister agiert.
