Nach Angaben eines Verwandten verließen in den folgenden Tagen etwa ein Dutzend Freiwillige das Gefängnis. Auch ihr inhaftierter Freund habe das Angebot in Betracht gezogen, sich aber dagegen entschieden, sagte die Frau, deren Partner dort derzeit eine Haftstrafe verbüßt. Trotz der anhaltenden Verluste Russlands in der Ukraine hat der Kreml bisher von einer Vollmobilisierung abgesehen – denn ein solcher Schritt könnte sich sehr negativ auf die Popularität von Präsident Wladimir Putin auswirken. Stattdessen setzt die Regierung auf verdeckte Rekrutierungsmaßnahmen, etwa in Gefängnissen, um den Mangel an Kämpfern auszugleichen. Lesen Sie auch Berichten zufolge verweigern Hunderte russischer Soldaten den Kampf und wollen zurücktreten. Sowohl Veteranen als auch Neuankömmlinge wollten das Kriegsgebiet in großer Zahl verlassen, sagt Anwalt Alexei Tabalov, Leiter der Rechtsberatung an der Militärschule: “Ich habe den Eindruck, dass jeder, der kann, bereit ist zu gehen.” Das Verteidigungsministerium unternimmt große Anstrengungen, um Männer zum Militärdienst zu bewegen. Obwohl das Ministerium jede Mobilisierungsaktivität bestritten hat, ist es eklatant. Plakate und Ankündigungen an öffentlichen Verkehrsmitteln in verschiedenen Bereichen laden junge Männer ein, sich der Berufsarmee anzuschließen. Die Behörden richteten in mehreren Städten mobile Rekrutierungszentren ein, unter anderem beim Sibirien-Halbmarathon im Mai.
Regionalverwaltungen bilden „Freiwilligenbataillone“
Regionalverwaltungen bilden “Freiwilligenbataillone”, für die im Staatsfernsehen geworben wird. Die Wirtschaftszeitung Kommersant zählte mindestens 40 solcher Einheiten in 20 Regionen. Die Behörden versprechen Personalvermittlern ein Monatsgehalt zwischen 2.100 und knapp 5.400 Euro plus Prämien. Tausende Stellen für Militärexperten werden auf Jobportalen ausgeschrieben.
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Nach Angaben der britischen Streitkräfte hat Russland aus “Freiwilligenbataillonen” eine neue große Bodeneinheit namens 3. Armeekorps gebildet. Gesucht werden dafür Männer bis 50 Jahre, die nur Abitur haben müssen und bei Stationierung in der Ukraine eine “lukrative Geldprämie” erhalten. Tabalov sagte, er erhalte seit August Rechtshilfeersuchen von Reservisten, die zu einer zweimonatigen Trainingseinheit nahe der ukrainischen Grenze einberufen worden seien.
Die Rekrutierung von Gefangenen läuft seit mehreren Wochen in bis zu sieben Distrikten, so Vladimir Oshetskin, Gründer der Gruppe Gulagu.net, die sich für die Rechte von Gefangenen einsetzt. Er erwähnt Gefangene und ihre Familien, die von seinem Team kontaktiert wurden.
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Es ist nicht das erste Mal, dass die Behörden auf seine Taktik zurückgreifen: Bereits im Zweiten Weltkrieg hatte die Sowjetunion “Gefangenenbataillone” eingesetzt. Auch damit steht Russland nicht allein. Zu Beginn des Krieges vor fast sechs Monaten bot der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj inhaftierten Veteranen Amnestie an, wenn sie sich freiwillig zum Kampf meldeten. Was passiert ist, ist jedoch nicht bekannt.
Derzeit rekrutiere nicht das russische Verteidigungsministerium Kriegsgefangene, sondern die private paramilitärische Gruppe Wagner, sagt Osechkin. Zunächst wurde nur Häftlingen mit militärischer oder polizeilicher Erfahrung ein Einsatz in der Ukraine angeboten. Später sei dies jedoch auf Häftlinge anderer Herkunft ausgeweitet worden, erklärt der Experte. Er schätzt, dass sich bis Ende Juli etwa 1.500 Männer bewerben könnten. Viele dieser Freiwilligen kontaktierten ihn jetzt, weil sie aus den Verträgen heraus wollten.
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Sanktionen gegen das Putin-Regime
Die Frau, deren Freund in der Strafkolonie St. Petersburg festgehalten wird, bezeichnet die Opfergaben an die Insassen als einen Hoffnungsschimmer auf Freiheit. Nach Angaben ihres Partners wurden acht der elf Freiwilligen in der Ukraine getötet. Ein Freiwilliger bedauerte seine Entscheidung und sagte, er erwarte nicht, lebend nach Hause zurückzukehren.
Die Aussagen der Frau konnten nicht unabhängig bestätigt werden, decken sich aber mit mehreren Berichten unabhängiger russischer Medien und Menschenrechtsorganisationen. Ihren Angaben zufolge ging die Zahl der Soldaten, die sich weigerten, in der Ukraine zu kämpfen, bereits im Juli in die Hunderte. Wer seinen Vertrag kündigen will, muss allerdings mit Konsequenzen bis hin zur Festnahme rechnen.
Laut Militäranalyst Michael Kofmann muss die russische Regierung weiterhin akzeptieren, dass Soldaten den Kampf verweigern. Der Direktor des Programms „Russlandstudien“ am US-amerikanischen Center for Naval Analysis betonte kürzlich in einem Podcast, dass Russlands Fähigkeit, „mit halben Sachen auszukommen“, nicht unterschätzt werden dürfe. „Und sie haben viele Maßnahmen ergriffen, um die Leute bei der Stange zu halten. Aber am Ende haben sie nicht allzu viele Optionen.”
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